Reise durch die Romantik, die Gegenwart und – die Zukunft?
Wer kennt sie nicht, die Rede vom Afrika-Virus? Neulich erwähnte ihn mal wieder jemand in einem Blogpost und hat mich inspiriert, einmal ein wenig darüber nachzudenken. Was ist das eigentlich, dieses viel zitierte Virus, das auf eine sehr spezielle Art „krank“ macht? Und ist das nicht alles nur romantischer Kram, der die Realitäten ausblendet?
Was ist also der „Afrika-Virus“?
Erfasst sind wir, die auf den „schwarzen Kontinent“ reisten und immer wieder dorthin zurück wollten. Ob als Reisende, Liebende oder der Arbeit wegen – kein Grund ist zu banal, kein Aufwand zu groß, um sie endlich wieder unter den Füssen zu spüren, die rote Erde Afrikas. Aber was fasziniert uns so an dem Kontinent der gleißenden Sonne? Die herzlichen Menschen mit ihrem Lachen und ihrer vermeintlichen Leichtigkeit? Die Vielfalt der Tierwelt, die uns Staunen und Schauern entlocken? Die Landschaften, die unwirtlich und atemberaubend zugleich sind? Oder ist es einfach nur das Gefühl, dass wir hier verloren sind, ganz und gar auf uns selbst gestellt, in der Weite der Landschaft, meilenweit kein Mensch in Sicht, das Abenteuer vor und hinter uns? Jeder, der Afrika bereist, hat seine eigene Geschichte dazu. Aber sicher findet jeder einen kleinen Teil Antworten auf diese Fragen in seiner Geschichte, in seinen Gründen, diesen Kontinent zu lieben.
Meine letzte, aber sicher nicht die letzte Reise nach Afrika endete in diesem Frühjahr. Sie begann in Südafrika und führte mich mit meinem Mann und meinen beiden Kindern von Johannesburg über den Krüger Park nach Zimbabwe bis nach Sambia. In allen diesen Ländern bin ich bereits auf früheren Reisen gewesen, habe vom Norden Kenias bis zur Skeleton Coast in Namibia viele Länder des südlichen Teils Afrikas bereist – immer im Landcruiser, immer mit Dachzelt, einfach aber doch privilegiert im Vergleich zu den dortigen Verhältnissen, aber immerhin oft abseits der „beaten tracks“.
Afrika ist für mich – Abenteuer, denn du weißt nie, was als nächstes passiert. Down to earth, denn es geht hier um andere Dinge als das, was mich in Europa in meinem Alltag beschäftigt. Schönheit, denn das Licht, die Landschaft und die Menschen erfüllen mich und lassen mich wieder daran glauben, dass es Harmonie gibt.
Der romantische Blick ist toll, aber..
…aber es gibt auch die Schattenseiten. Die Armut der vielen. Die Korruption, die so vieles unmöglich macht. Die Mühsal, mit der die Dinge des Alltags bewältigt werden müssen. Und gerade die Mühsal, mit der so oft der Alltag bestritten werden muss, macht mich manchmal wütend. Die einfachen Mittel, mit denen Maismehl gemahlen, Wäsche gewaschen, das Feld bestellt und das Essen gekocht wird. Zu Hause drücke ich ein paar Knöpfe, hier in Afrika habe ich einen halben Tag Arbeit damit. Ich bin morgen wieder weg, in meinem bequemen Zuhause, die Frauen hier schlagen sich vermutlich ihr Leben lang damit herum. Ganz zu schweigen von den vielen Dramen, die sich aufgrund von zu viel Regen oder zu wenig Regen, Bodenkorrosion, Ernteausfällen und und und abspielen. Die manifestierte Armut wegen unfairen Handelsbedingungen mit den reichen Ländern der Welt, die Ausbeutung der Bodenschätze, ohne dass beiden normalen Leute etwas ankommt, ach, man könnte die Liste ja endlos fortführen.
Der negative Blick reicht aber auch nicht aus…
Aber dann mahne ich mich zur Ordnung, hier ist es nun einmal anders, sei nicht ungerecht, es gibt auch viel Fortschritt. Und wirklich – der Fortschritt bahnt sich seinen Weg. Beispiel: Kabwe, ein kleines Städtchen im Norden der sambischen Hauptstadt Lusaka. Im Vergleich dazu, wie es vor ein paar Jahren aussah, hat es sich ganz schön weiterentwickelt. Schon 2010 hat es einen recht guten Eindruck gemacht, aber in 2016 sind noch mehr Straßen geteert, der Markt ist riesig geworden, die Geschäftigkeit boomt und der Supermarkt platzt aus allen Nähten – insbesondere zu Beginn des Monats, wenn es Geld gibt. Die Leute treiben Handel, es gibt Jobs, die Infrastruktur wird ausgebaut.
Lusaka selbst baut eine Shopping Mall nach der nächsten. Nun mag man von diesen Konsumtempeln halten, was man will – sie sind dennoch Zeugnis steigenden Wohlstands. Denn wo kein Konsum wäre, wäre auch keine Shopping Mall. Und steigender Konsum, so einfach ist die Milchmädchenrechnung, heißt augenscheinlich, dass mehr Geld in den Portemonnaies ist – und das freut mich natürlich für die Leute, bedeutete es nichts anderes als Teilhabe – wofür auch immer man sein Geld eben hergibt.
Ein Wechselbad der Gefühle?
Szenenwechsel Botswana. Mein Schwager hatte mit seiner Frau ein kleines Unternehmen in Gaborone gegründet. Sie machten Schulessen und zusätzlich Caterings für sogenannte „Functions“, also Events, bei denen Buffets angeboten und die meist von Botschaften oder gutsituierten Einheimischen gegeben wurden. Sie hatten ein paar Angestellte, es ging ihnen ganz gut. Nun sind alle nach Deutschland übergesiedelt. Es gibt für ihr Cateringunternehmen in Gaborone keine Grundlage mehr. Der Grund? Die Arbeitserlaubnisse für Ausländer wurden massiv eingeschränkt. Immer mehr Ausländer verlassen das Land, Botschaften schließen, weil es niemanden mehr gibt, für den man noch zuständig wäre. Es wird weniger ausgegangen, seitdem die Alkoholsteuer erhöht wurde, Kneipen und Restaurants schließen. Die wirtschaftliche Situation ist schlechter als noch vor ein paar Jahren, als Botswana als eines der stabilsten Länder Afrikas galt.
Weiter nach Zimbabwe. Fahrt alle nach Zimbabwe! Bringt Euer Geld dorthin. Reist dort und beschert den Leuten dort Business! Es ist beschämend. Ein wunderschönes Land, die Menschen gebildet und Besseres gewohnt. Und das Land darbt vor sich hin. Nachdem der Zim Dollar an den US Dollar gekoppelt wurde, ist Zimbabwe für die Südafrikaner als Reiseland zu teuer geworden. Und nun? Welcher Europäer macht dort schon Urlaub? Alle denken an Unruhen, Benzinknappheit und ein repressives System. Das System ist sicher nicht demokratisch, aber was können die beiden Frauen dafür, in deren Unterkunft wir nächtigen? Oder die Souvenirverkäuferinnen, denen wir bergeweise Krimskams abkaufen, weil wir die ersten Touristen seit Wochen sind? Ein Trauerspiel. Immerhin, man kann den Wohlstand, den das Land im Vergleich zu Sambia inne hatte, noch spüren. Aber er schwindet langsam. Kann Afrika sich das leisten?
Ich lese eine Abhandlung des Journalisten Alex Perry über die Protagonisten der Startups in Nairobi. Den neuen afrikanischen Geist der Jugend – „Wir sind selbst für unsere Zukunft verantwortlich“ – ich schöpfe Hoffnung. Afrika braucht seine Jugend. Ihre Innovationskraft und ihren Mut. Und meine Liebe zu Afrika blüht wieder auf. Ich bewundere die Leute, die aus dem Nichts so vieles schaffen. Wie geht das? Heute noch die Batterie des Mobiltelefons via Solarzelle vor der Rundhütte aufgeladen, morgen in Nairobi, beim Programmieren einer App, die für uns Europäer völlig nutzlos ist, für den afrikanischen Markt aber der Hype. Weil die Umstände einfach andere Mittel erfordern. Damit sind sie erfolgreich.
Vom Virus geheilt? Niemals!
Nach einer Reise durch einige afrikanische Länder, voll mit Eindrücken der verschiedensten Art, fällt es oft nicht leicht, sich zu sortieren. Zu unterschiedlich sind die Empfindungen. Es gibt sie alle: die romantischen Sonnenuntergänge in der einsamen Natur, die krassen Ungerechtigkeiten und die Armut, den Fortschritt. Und ich persönlich habe trotz aller Rückschläge, die dieser Kontinent bisher erlebt hat, das feste Vertrauen, dass sich das Leben dort zum Besseren verändert – für die Menschen, die uns, den Afrika-Virus Infizierten, vieles gegeben haben. Und für den Kontinent, der Ursprünglichkeit und Schönheit, Verdruss und Armut, Hoffnung und Fröhlichkeit miteinander vereint. Und um mich davon zu überzeugen fahre ich sicher bald wieder dorthin – Virus bleibt Virus, da kann man nichts machen.
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