Gerade habe ich das Kapitel über Nairobi in Navid Kermanis Buch „In die andere Richtung jetzt“ zu Ende gelesen und denke erneut darüber nach, warum ich nicht auch als allererstes einen Blogpost darüber geschrieben habe, wie arm Kenia im Vergleich zu Deutschland ist. Den Kolonialismus thematisiert, die Slums erwähnt und die vielen Schicksale beschrieben habe, die viele Menschen hier teilen, die fast nichts haben. Die Antwort ist auch nach der Lektüre Kermanis: Weil das alle tun. Weil letztendlich fast alle Medienberichte, Bücher und Reportagen über Nairobi, Kenia, Afrika über Armut und Ungleichheit berichten. Was dazu führt, dass Kenia in den Köpfen der meisten Europäer einfach nur eins dieser afrikanischen Länder ist, wo es Hunger und Hoffnungslosigkeit gibt, wo alle arm sind und unsere Entwicklungshilfe Projekte macht.

Es führt leider auch dazu, dass die wenigstens wissen, wie viele Menschen hier im Land auch Erfolgsgeschichten schreiben, gute Jobs haben und ein auskömmliches Leben führen. Mir kommt dieses Buch in den Sinn, das ich vor einer ganzen Weile für einen Lizenzkauf angeboten bekam. Es hatte mehrere Preise gewonnen, ein Kinderbuch. Es stellt jeweils auf einer Doppelseite verschiedene Kulturen der Welt dar. Ich erinnere mich nicht mehr, welches afrikanische Land ausgewählt worden war. Aber an das Bild erinnere ich mich genau. Ein afrikanisches Kind in bittender Geste im Vordergrund, im Hintergrund ein LKW mit Hilfsgütern, die Szenerie wüstig. Natürlich kann man jetzt sagen: Ja, das gibt es. Aber warum ist das unser einziges Bild, das wir von diesem riesigen Kontinent und seinen Menschen haben? Wo sind denn all die anderen Geschichten, die auch erzählt werden können? Die Geschichten, die von Menschen erzählen, die sich ihre Träume erfüllt haben? Die etwas aufgebaut haben, eine Firma gegründet haben, eine glückliche Familie haben, erfolgreich sind?

Davon gibt es hier viele. Ich finde, diese Geschichten sollten auch erzählt werden. Denn sie zeigen, dass der Kontinent, das Land, die Stadt, es nicht verdient, von Europa aus nur mit einem mitleidigen Blick bedacht zu werden. Das wird den Menschen hier aus meiner Sicht nicht gerecht. Die Leute hier sind sehr stolz auf ihr Land. Es ist überhaupt nicht so, dass man hier ausschließlich dem Westen nacheifert und das der Maßstab aller Dinge ist. Vieles funktioniert hier ganz anders – und oft viel moderner und besser als in Europa. Natürlich gibt es auch die anderen – aber so what? Bei uns gibt es auch Licht und Schatten – ich sag nur Bürokratie, Gesundheitswesen, Schulen und die damit verbundenen Geschichten, Kinderarmut im reichen Land, Einsamkeit … soll ich weitermachen? Lieber nicht.

Was ich in letzter Zeit öfter erlebt habe, ist, dass auf die Empfehlung hin, doch auch mal nach Kenia zu reisen, tatsächlich Kommentare kommen wie: Da würde ich mich nicht auf die Straße trauen. Das macht mich traurig. Aber es ist ganz klar: Wenn die einzigen Informationen über ein Land negative sind, Armut, Korruption und Probleme, dann schreckt diese Perspektive ab. Und so fürchten sich Reisende, hierher zu fahren und das Land anzuschauen. Unternehmen fürchten Investitionen und Partnerschaften. Und das wirkt sich negativ auf den Tourismus aus, auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und anders.
Versteht mich nicht falsch: Natürlich ist es für jeden einzelnen Bedürftigen gut, wenn hier Entwicklungshilfeprojekte laufen und Geld über diesen Weg ins Land kommt und Menschen geholfen wird. Wir spenden natürlich selbst in solche Projekte und finden das auch sehr wichtig.
Es ist aber mindestens genauso wichtig, wenn hier vor Ort Unternehmen gegründet werden und diese Steuern zahlen. Wenn die Wirtschaft wächst. Wenn aus der Bevölkerung heraus Druck auf die Regierungen ausgeübt wird, ihre Staatsbudgets sinnvoll einzusetzen. Wenn über mehr Arbeitsmöglichkeiten die Armut in der Bevölkerung sinkt, die Löhne und der Wohlstand steigen. So wie das in Europa auch der Fall war, so wie das überall läuft.

Ich möchte nicht in das Mitleidshorn blasen. Ich möchte auch nicht so tun, als würde sich hier nichts ändern. Wenn man über Ungleichheit oder Armut sprechen möchte, sollte man über die Stellen sprechen, an denen wirklich etwas zu ändern ist. Das sind Handelshemmnisse, das ist Korruptionsbekämpfung, das sind Kolonialismusfolgen, die man dann aber wirklich ehrlich diskutieren muss. Da hilft es nicht, nach Kibera zu fahren und betroffen wiederzukommen.
Aber gut, jeder muss da seinen eigenen Weg finden. Mein Weg war schon immer der des Optimismus. Wer mich kennt, weiß, dass ich überall etwas Positives finden kann. Man kann das natürlich blauäugig nennen. Aber schließlich haben wir alle nur ein Leben, und ich will meins nicht mit Miesmacherei verbringen.
Deshalb werde ich mir meine positive Haltung und den Optimismus, dass es voran geht, bewahren. Ich werden versuchen, die Dinge, die funktionieren und zum Teil viel moderner sind als in Europa, zu sehen und darüber zu schreiben. Wenn ich damit erreichen kann, dass auch bei euch, die den Blog lesen, ein neues Gefühl für Kenia entsteht, das weniger von Mitleid als vielmehr von Neugier geprägt ist, habe ich mein Ziel erreicht. Dann landet Kenia auf eurer Bucketlist und ihr kommt vielleicht hierher und tragt dazu bei, das positive Bild, das ich schon so lange von diesem Land habe, in der Welt zu verbreiten. Das ist meine bescheidene Mission. Deshalb schreibe ich nicht (nur) über Armut.
Was meint ihr dazu? Ich freue mich über eure Kommentare!
2 Antworten zu „Warum ich nicht (nur) über Armut schreibe“
- Evi Staab
Ich finde das super. Mich interessiert ohnehin am meisten, wie Menschen leben und arbeiten um ihr Auskommen zu haben und voranzukommen. Ich freu mich schon auf deine Berichte.
Nächstes Jahr kommen wir mit großer Wahrscheinlichkeit nach Nairobi, weil unsere Tochter mit UN Women dorthin verfrachtet wird.
Das wird spannend!
Evi- Britta Schmidt von Groeling
Liebe Evi,
das freut mich. Ich hoffe, ich werde noch viele Berichte über das Leben hier verfassen, die Du spannend findest. Und wenn Du in Nairobi bist, melde Dich gern.
Viele Grüße aus dem Süden!
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